Ein Drama:
DER QUALLE TOD
Eine zermürbende Tragödie in sechs Akten,
die aus Papiermangel
nur schlagwortartig aufgezeichnet wurde.
DIE PERSONEN:
Mehrere Mann
1 Mörder
1 Qualle
ZEIT: Nachmittag
ORT: Öde Gegend
Die Szene zeigt einen Strich.
Links davon ist das Meer verteilt,
rechts der Strand, woraus man sehen kann,
daß es sich um ein Meeresufer handelt.
Samt seinem Gipfel thront darüber der Olymp,
so daß es sich augenscheinlich um Griechenland
handelt.
Laut Personenverzeichnis
Spielen die Götter aber nicht mit.
Tränen sind mitzubringen.
I.Akt
Im ersten Akt wird die Qualle aufgefunden,
dunkle Wolken fegen über den Horizont,
aber ihr Schicksal ist noch unbestimmt.
Der 1. Akt.
In Griechenland
am Meeresstrand
im heißen Sand
ein Landser stand
als er am Strand
ein Tierchen fand,
das hierzuland
als Quall bekannt.
Ende des 1. Aktes.
II. AKT
Im Zweiten Akt braut sich die Tragödie schon zusammen.
Düstere Gewalten ringen durcheinander
und spitzen die Geschehnisse dramatisch zu.
Der 2. Akt.
Anstatt in ihrem Stalle
saß die im Wogenschwalle
(das ganze Kleingeld alle)
am Ufer in der Falle
und spuckte Gift und Galle.
Der Landser rief nun alle
mit lautestem Krawalle
herbei zu seiner Qualle,
als ob es dorten knalle.
Ende des 2. Aktes.
III. AKT
Im dritten Akt kommt es zu Mißhandlungen,
welche die weiteren Verwicklungen ahnen lassen
Böseste Gewalt treiben ihr unbehindertes Spiel.
Der 3. AKT.
Da hat sie einer umgekehrt,
hat einen Tritt ihr flugs beschert
(wiewohl sich dieses nicht gehört),
und, ohne daß es wer verwehrt,
mit Sand und Steinen sie beschwert,
jedoch dadurch noch nicht zerstört.
Noch blieb sie nämlich unversehrt
und wurde wieder ausgeleert.
Unerhört!
Ende des 3. Aktes.
IV. AKT
Im vierten Akt findet der Lustmord statt.
Man beachte die dramatische Grausamkeit
des Geschehens.
Der 4. Akt.
Mit einem weitern Tritte
Sich nähert nun der Dritte
(ein Mensch mit roher Sitte),
der teilt mit einem Schnitte
ganz ohne letzte Bitte
(als ob sie nichts erlitte)
die Qualle wie eine Quitte
gerade durch die Mitte.
Bitte!
In das erschütterte Schweigen
Mischt sich die große Pause zum Atemholen.
Ende des 4. Aktes.
V. AKT
Im Fünften Akt türmt sich die Tragödie
bis zur Leichenschändung empor.
Ein wahrhaft homerisches Motiv.
In gehobenster Sprache ballt sich die Handlung
zur vollendeten Dramatik.
Der 5. Akt.
Auf daß sie nie mehr kräule
zerschnitt man ohne Eile
mit einer stumpfen Feile,
zum Teil mit einer Keule
und schröcklichem Geheule,
die Qualle in weitre Teile,
die sich aus langer Weile
verteilt auf eine Meile
und wandeln nun in Fäule
Auf der Bühne ist es dunkel geworden,
während die Zuschauer dicke Tränen zerquetschen.
Ende des 5. Aktes.
VI. AKT
Im sechsten Akt ist der Höhepunkt
naturgemäß bereits überschritten.
In der Art Epikurs
wird die moralische Lehre aus dem Ereignis gezogen.
Der 6. Akt.
Drum sollte man nun allen
noch lebendigen Quallen
ganz dringend schnell bestallen,
daß sie dem Tod verfallen,
wenn sie am Strande wallen
und wo auf Landser prallen,
weil sie sich gegen Quallen
zum Mord zusammenballen,
daß nur die Fetzen knallen.
Mit einem Wehruf aus einer anderen Welt
schließt das umwerfende Geschehen.
Ende des 6. Aktes.
Es ist nicht anzunehmen,
daß heute nacht viele schlafen werden.
ENDE DER TRAGÖDIE