Biographie
Seinen ersten Rechenautomaten nennt er Mailüfterl. Völlig überflüssig wäre eigentlich jeder Hinweis auf den Standort der Anlage. Das kann selbstverständlich nur Wien sein, wo der David Mailüfterl (Friendly viennese May Breeze - No whirlwind or hurrican) gegen den Goliath Whirlwind im wirtschaftlichen Wettbewerb antritt - als eine der ersten volltransistorisierten Rechenanlagen Europas.
Heinz Zemanek wird am Neujahrstag des Jahres 1920 in Wien geboren. Nach einer Kindheit auf dem Lande in Domschale bei Laibach, verbringt er seine Schulzeit in Wien bis hin zur Technischen Universität, wo er Nachrichtentechnik studiert und im Dezember 1944 seinen ersten akademischen Grad, den Diplom-Ingenieur, erreicht.
Zwischenzeitlich im Militärdienst, gehört er einer Telephoneinheit an, unterrichtet an der Armee-Nachrichtenschule Saloniki und betätigt sich schließlich in der Zentralversuchsstelle für Hochfrequenz-Forschung bei Ulm in der Radarforschung, die es ihm ermöglicht, nebenbei in Wien sein Diplomexamen zum Thema: "Über die Erzeugung von kurzen Impulsen aus einer Sinusschwingung" abzulegen. Nach Kriegsende helfen Tätigkeiten, wie Elektrotechniker und Radiomechaniker, über den Hunger hinweg. Seine Versuche, eine elektrotechnische Firma zu gründen oder ein Buch über Radartechnik zu schreiben, gibt er bald auf und kehrt 1947 an die Technische Universität Wien zurück, der er dann bis 1961 treu bleibt.
Unterbrochen wird diese Zeit für das Studienjahr 1948/1949 durch ein Stipendium der französischen Regierung an der Sorbonne (Ecole Superieure de Telecommunications, Ecole Normale Superieur, Forschungslaboratorium der PTT). Er promoviert 1950 mit dem Thema "Zeitteilverfahren in der Vielfachtelegraphie" und erhält die Lehrberechtigung mit dem Thema : "Störverminderung imperfekter Schaltnetzwerke". Seine 14 jährige Assistentenzeit nutzt er für die Arbeit auf den Gebieten digitale Übertragungstechnik, kybernetische Modelle, Informationstheorie und Schaltalgebra.
Mit diesen Arbeiten und dem Bau des Relaisrechners URRI bereitet er sich ab 1950 auf eine eigene Computerentwicklung vor, die auch höheren Ansprüchen genügt. In einer Gruppe von Studenten findet er seine ersten Partner für dieses Vorhaben, die mit ihren Diplomarbeiten den Bau des ersten vollständig transistorisierten, binärdezimalen Computers auf dem europäischen Festland vorbereiten.
Heinz Zemanek hat auch schon einen Namen gewählt: Mailüfterl, um damit der Großrechnerphilosophie der Whirlwind-Entwicklung in den USA die Philosophie einer kleineren Technik entgegenzusetzen.
Genau besehen läuft hier ein Art persönlicher Unternehmung ohne offiziellen Auftrag der Universität ab. Doch das Vorhaben wird freundlich geduldet und gebilligt, denn Interessenten und Geldgeber finden sich ausreichend in- und ausländischen Unternehmungen. Auch der Verband der Banken und Bankiers unterstützt das Vorhaben.
Allein 3.000 Transistoren und 5.000 Dioden - als Basiselemente - sind ein Geschenk der Firma Philips. Das European Research Office der amerikanischen Armee unterstützt die Anwendungsfreundlichkeit des Mailüfterls durch einen Übersetzer für Algol, Arbeiten zur Schaltungsvereinfachung und durch Mitarbeit auf dem Gebiet des Software-Engineering. Und was ihm besonders wichtig erscheint: Die Zusammenarbeit mit den Computerentwicklungen an den Hochschulen in Göttingen, Darmstadt, Dresden und München funktioniert - insbesondere auch mit der Zuse KG.
Daneben laufen Entwicklungen, wie z.B. ein mit ähnlicher Technik arbeitender Vocoder in Richtung auf eine Digitalisierung. Forschungs- und Entwicklungsprojekte werden für die Österreichische Post- und Telegraphendirektion ausgeführt. Im Jahre 1961 übersiedeln die beiden Gruppen Mailüfterl und Vocoder von der Technischen Universität Wien zum EDV-Imperium IBM, dem Angebot folgend, ein IBM-Laboratorium in Wien aufzubauen.
Als erstes Produkt entsteht das Telephon-Antwortgerät für Tabellenabfrage auf der Basis des Vocoders IBM 7772 im System IBM/360. Es wird im Deutschland und Frankreich weiterentwickelt und geht schließlich in den USA in die Fertigung.
Die Hauptleistung des Wiener Laboratoriums ist in der Zeit von 1961 bis 1976 die formale Definition der Programmiersprache PL/ 1. Eine IFIP-Arbeitstagung - die erste ihrer Art, es sollen 200 weitere folgen - über "Formal Language Description Languages" hilft auf dem Wege zur Entwicklung der Definitionssprache VDL, in welcher dann auch die internationale Normierung von PL/1 durch ANSI erfolgt.
Die Sprache wird dann auf eine Systemdefinitionsmethode VDM erweitert, einer Methode, die dann international weiterentwickelt wird. Ebenfalls im Jahre 1961 übernimmt er den Vorsitz des IFIP Technischen Komitees No. 2 über Programmiersprachen, um mitzuhelfen, das sich ausbreitende babylonische Sprachgewirr der Programmierer in geordnete Bahnen zu lenken. Die schon genannte IFIP-Arbeitstagung ist sozusagen lediglich ein Nebenprodukt dieser Funktion in der er der Reihe nach Trustee und Vizepräsident ist.
Die Jahre 1971 bis 1974 sehen ihn sogar als Präsidenten der IFIP. 1977 wählt man ihn zum Ehrenmitglied und überträgt ihm den Vorsitz über das Publikationskomitee, den er bis zum Jahre 1984 wahrnimmt. Seinen besonderen Interessen folgend, versucht er in der Zeit von 1985 bis 1989, eine IFIP-Kommission für die Geschichte der Informationstechnik aufzubauen, scheitert aber an der ungenügenden Bereitschaft der Mitarbeiter zur Mithilfe. Man bestellt ihn zum IFIP Historian.
Im Jahr 1976 erfährt Heinz Zemanek eine Ehrung besonderer Art: Er wird vom Vorsitzenden der IBM zum IBM-Fellow ernannt und wählt sich als Arbeitsgebiet die Theorie des Systementwurfs. Er nennt sie "Abstrakte Architektur." Etliche Publikationen entstehen, ohne daß das Thema schon abgeschlossen ist. Er findet auch eine originelle Anwendung seines Konzeptes der Abstrakten Architektur in seinem Lebenslauf, der sein Leben auf höchst natürliche Weise in Siebenjahresperioden gliedert.
1964 wird er zum a.o. Professor, 1983 zum o. Professor berufen. Im Jahre 1985 tritt er in den Ruhestand, lehrt aber weiterhin an der Technischen Universität Wien. Während des Studienjahres 1985/86 hat er den Lehrstuhl für Geschichte der Informatik und im Studienjahr 1988/89 gibt es eine Vorlesungsreihe über "Das geistige Umfeld der Informationstechnik" im Rahmen der SEL-Stiftung an der Universität Stuttgart . Er schlägt vor, die beiden elementaren Dimensionen naturwissenschaftlicher Betrachtungsweise, nämlich Stoff und Energie, um die Elementardimension Information zu erweitern.
Er kann über 500 Veröffentlichungen vorweisen, davon sieben Bücher. Außerdem arbeitet er in zahlreichen Redaktionskomitees. Diese Zusammenfassung reicht gerade so aus, um seine zahlreichen Auszeichnungen und Ehrungen aufzulisten:
Darunter findet sich diverse Verleihungen des nach ihm benannten Heinz Zemanek-Preises, die Leonardo Da Vinci Medaille der European Society for the Education of Engineers, die Prechtl Medaille der Technischen Universität Wien, das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien, die IEEE Computer Pioneer Medal, die Oscar-von-Miller-Plakette in Bronze des Deutschen Museums in München, sowie die JOHN-VON-NEUMANN-Medaille der ungarischen John-von-Neumann Gesellschaft für Computerwissenschaften.
Er ist korrespondierendes Mitglied der Königlich Spanischen Akademie der Wissenschaften, Ehrenmitglied der Wiener Gesellschaft für die Geschichte der Technik, korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und ordentliches Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.
Die Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen verleiht ihm am 14. Juli 1986 den akademischen Grad eines Dr.-Ingenieur eh.
"Den Zemanek besucht man nicht, man wartet, bis er vorbeikommt!" So heißt es in seinem Bekanntenkreis. Seine Reisetätigkeit ist in der Tat erstaunlich und er hält sie für wichtig für seine Entwicklung, um über "Das Weltreich der Computer" mitreden zu können.
Nach seiner eigenen Statistik bewältigte er auf 575 dienstlichen und fachlichen Reisen fast 2 Millionen Flugkilometer, bereiste alle Kontinente (außer der Antarktis) und kennt die Hauptstädte Europas mit nur drei oder vier Ausnahmen.
Heinz Zemanek charakterisiert sich selbst als überzeugter Österreicher, Katholik und Ingenieur.
Das spiegeln auch die Auszeichnungen wider, die er in den letzten Jahren entgegennehmen durfte:
2003 wurde Heinz Zemanek von der Erzdiozöse Wien mit dem Kardinal Innitzer-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
BM Hubert Gorbach überreichte ihm names der Republik Österreich am 1. März 2005 anläßlich seines 85. Geburtstages das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse. Die Feier für dieses Ereignis wurde gemeinsam vom Österreichischen Verband für Elektrotechnik (OVE) und der Oesterreichischen Computer Gesellschaft organisiert.
Heinz Zemaneks 90. Geburtstag wurde im März 2010 im Technischen Museum Wien gefeiert.
Heinz Zemanek starb am 16. Juli 2014 in Wien.